Traurig

“Wie geht das denn? Man, ich krieg’ das doch alleine nicht hin! Scheiße! Wie macht man das denn?”

Völlig verzweifelt war die ältere Damen, als ich an die Bushaltestelle kam und mich auf die Bank neben sie setzte. Sie sprach diese Worte völlig für sich, scheinbar nicht mit der Absicht, jemanden um Hilfe zu fragen. Ich denke, sie hat sich nicht so ganz getraut. Traurig und wütend und verzweifelt starrte sie dabei auf ihr Handy und drückte irgendwelche Tasten. Man konnte Tränen in ihrer Stimme hören. Neben ihr auf der Bank – zwischen uns beiden – stand eine prall gefüllte Handtasche, vor ihr stand einer dieser Einkaufstaschen auf einem dieser Sackkarren-ähnlicher Gestelle, die viele ältere Leute heutzutage benutzen.

“Kann ich Ihnen helfen?”, fragte ich und sofort gab sie mir ihr Handy und zeigte auf die Nummer, die vier Zeilen unter der momentan angewählten stand.

“Da, die Nummer da, diese Nummer, die muss ich wählen! Ich weiß nicht wie ich das machen kann. Mein Mann ist gestorben und jetzt bin ich ganz alleine und alle lassen mich im Stich!”

Ganz erschrocken war ich! Ich drückte vier mal die “nach unten”-Taste und erklärte der Dame, dass sie nun nur noch auf den grünen Knopf drücken müsse, damit das Handy wählt. Bevor sie das tat, schaute sie mich mit traurigen, leicht geröteten Augen an. “Wissen Sie, mein Mann ist gestorben und meine Freunde sind jetzt gar nicht für mich da!” Dann drückte sie auf den Knopf und hielt sich das Telefon an das eine Ohr, während sie ihr anderes mit der anderen Hand zuhielt. Lange Zeit hob keiner ab, dann sprach die Frau auf den Anrufbeantworter einer Freundin. Sagte, dass sie sich total vernachlässigt fühlte, dass sie ja nie Zeit für Sie habe. “Ich wollte ja kommen, aber du hast ja keine Zeit! Ich bin nicht sauer oder so, nur enttäuscht und traurig!”

Ich bin mir nicht sicher, ob die Frau nicht eine Art von Behinderung hat, oder ob der Tod ihres Mannes sie so wirken lässt. Aber dann war es doch erstaunlich, wie gut sie sich gegenüber ihrer Freundin ausdrücken konnte. Sie konnte ihre Gefühle beschreiben und sich sehr verständlich machen.

Als sie ihren Monolog beendet und aufgelegt hatte wandte sie sich wieder an mich. Erklärte nochmal, dass ihr Mann gestorben war. “Am Mittwoch war doch erst die Beerdigung. Und keiner kümmert sich um mich. Dazu sind Freunde doch eigentlich da, oder nicht? Aber für mich ist keiner da. Kommt das Taxi?”

Sie sprach noch weiter ähnliche Dinge und erklärte, dass sie auf ihr Taxi wartete, dass sie mit den Einkäufen nach Hause bringen würde. Dafür hatte sie aber zwei Euro zu wenig, hoffentlich würde der Taxifahrer sie trotzdem mitnehmen. Hätte ich Kleingeld dabei gehabt, ich hätte es ihr mit Freuden geschenkt.

Schließlich stand sie auf, um ihre Jacke zu schließen und wenige Sekunden, bevor mein Bus kam stelle sie sich direkt vor mich: “Und jetzt hat sich der Reißverschluss verklemmt.” Sie sagte das und schaute mich an, wie ein kleines Kind, dass seine Schuhbänder noch nicht zubinden kann. Ich versuchte also den Reißverschluss zu befreien, schaffte es aber nicht rechtzeitig, bevor ich einsteigen musste. Wenigstens hatte er sich weit oben verklemmt, sodass sie nicht weiter frieren würde.

Aus dem Bus auf diese arme einsame Frau zu blicken, war nicht schön. Ihre Geschichte ist sehr traurig und ich habe gemerkt, wie schlecht es ihr ging. Hoffentlich konnte ich ihr wenigstens ein bisschen helfen.

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2 Antworten zu Traurig

  1. DaPe schreibt:

    Wirklich total traurig…

  2. Alwine Schlichtmann schreibt:

    Wie traurig!

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